Digitale Kulturorte – transformative Räume für eine Kultur der Gegenwart
Es ist bemerkenswert, wie die digitalen Möglichkeiten in der etablierten Kunst- und Kulturwelt weiterhin als befremdlich und in der Regel nicht wahrhaftig angesehen werden. Zwischen zaghafter Videokunst und eifriger Unterwerfung dem Vermarktungskodex der Sozialen Medien klafft eine große Lücke in der angewandten Kultur. Es gibt Berührungsängste und innere Ablehnung. Wenn man die These aufstellt, dass Kunst eine Konstante im menschlichen Dasein ist, die Werkzeuge und Materialien, die Kunst erfahrbar machen, aber einem steten Veränderungsprozess unterworfen sind, dann ergibt sich für heute sicher die Fragestellung, welches die Werkzeuge unserer Zeit sind, aktuelle Lebensrealität künstlerisch zu reflektieren? Ist es im Umkehrschluss nicht sogar als ein dauerhafter Auftrag der Gesellschaft an die Kunst- und Kulturschaffenden zu verstehen, aktuelle Werkzeuge neugierig zu erproben?
Der Philosoph und Kommunikationstheoretiker Marshall McLuhan hat in den 60er Jahren mit dem Ausspruch „Das Medium ist die Botschaft“ auf treffende Weise charakterisiert, wie das Verhältnis von Material und Kunstinhalt gedeutet werden kann. Das eine bedingt das andere. Er hat erkannt, dass die modernen Medien von nun an untrennbar auch mit der Kunst verbunden sind. Und hat mit klarem Zukunftsblick formuliert und eingefordert, dass eine Auseinandersetzung des Künstlers mit den sich stets verändernden Werkzeugen und Werkstoffen unabdingbar ist, um relevante Kunstinhalte zu erzeugen.
Diese Werkzeuge und Werkstoffe sind heute analog und auch digital. Die Produkte der Kultur als eine ins Virtuelle zu transformierende „Ware“ zu verstehen, die sich den heute üblichen Marktmechanismen und Konsumgewohnheiten unterzuordnen und anzupassen hat, wäre aber offenkundig eine Fehldeutung dieser Aufforderung. Es geht vielmehr darum, vorhandene Werkzeuge und Technologien viel stärker subversiv und experimentell zu nutzen und der Gesellschaft ein kulturelles Gegenangebot zum digitalen Status Quo zu machen.
Es gibt zwei grundsätzliche Argumente, die für eine intensive Durchdringung von Kultur und Digitalität sprechen: erstens ein sozial- und bildungspolitisches, das für die Teilhabe eines möglichst breiten Spektrums der Gesellschaft an den Produkten der Kunst und Kultur wirbt und zweitens ein ästhetisch/künstlerisches, das daran erinnert, wie Kunst und Kultur gesellschaftliche Realität auch in ihren Mitteln und der Erzählweise reflektiert und viel mehr noch, neue Erzählungen erst erschafft.
Traditionelle Kulturorte sind analog. Dies sind Theater, Museen, Konzerthallen, aber auch Vereine, Clubs, Cafés, Plätze und viele kleine und größere Bereiche des öffentlichen Raums und Lebens. Wir Menschen brauchen diese Orte, zur körperlichen Nähe, zur Kommunikation und zur Inspiration. Sie sind lebensnotwendig. Somit sieht der traditionelle und institutionalisierte Kulturbetrieb als Ideal auch die „Dinglichkeit“ von Kunst, die unbedingten Materialität in allem; die realen Räume, die spürbaren Orte, und die Gleichzeitigkeit von Darstellung und Publikum.
Die Pandemie hat uns nun erstmalig und mit voller Wucht gezeigt, wie zerbrechlich dieses Ideal ist und wie schnell es Realität wird, dass virtuelle digitale Kulturorte unsere Sehnsüchte auffangen müssen.
Wie können wir digitale Kulturorte gestalten? Und was hat das mit der Stadt zu tun?
Ein digitaler Kulturort ist etwas, wo Stadtkultur jenseits räumlicher Barrieren stattfindet. Wo analoge und virtuelle Kulturorte und -angebote transformativ aufeinander treffen, sich vermengen, ergänzen, miteinander kommunizieren. Und eben auch jenseits räumlicher Barrieren erreichbar sind. Von jedem, der einen digitalen Zugang hat. Das heißt über die eigene Stadt hinaus – weltweit. Stadtkultur mit ihrer spezifischen Identität und Botschaft wird so zu einem Teil der globalisierten kulturellen Gegenwart. Im digitalen Kulturort begegnen wir uns wieder!
Digitalisierung hilft, den Weg in eine kulturelle Zukunft zu ebnen. Und die Kultur einer Stadt auch digital zu verorten. Deshalb brauchen wir Vorstellungen, Ideen und Mittel, um konkret etwas zu gestalten. Wir brauchen Bühnen, die da und auch nicht da sind, wir brauchen Leinwände, auf denen die Farbe trocknet und welche, durch die wir hindurch gehen können. Wir brauchen die Nähe und die Weite. Wir müssen digitale Kulturorte erschaffen und vernetzen und wir müssen unsere Erzählung von Wirklichkeit hier weiterführen. Und vor allem brauchen wir das Gespräch darüber, was heute ECHT und WERTVOLL ist!
Digitale Strategien für den kommunalen Kulturbereich
Die vom Bundeministerium des Inneren, für Bau und Heimat in einer Neuauflage im Mai 2021 veröffentlichte „Smart City Charta“ gibt Leitlinien und Handlungsempfehlungen zur einer nachhaltigen und gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung im Sinne eines digitalen Wandels. Der Deutsche Kulturrat stellt im Positionspapier „Kultur- und Kreativwirtschaft stärken“ vom 12. Oktober 2021 Forderungen an die neue Bundesregierung und betonen abermals, dass Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft einen eigenen und wichtigen Wirtschaftszweig darstellen. Der deutsche Städtetag hat im Juni 2021 erstmalig Ansätze für eine kommunale Strategie zu Digitalisierung und Kultur formuliert. Im Papier Digitale Transformation in der Kultur – Herausforderung für die kommunale Kulturpolitik wird gefordert „eine Strategie zur Digitalisierung für den Kulturbereich insgesamt zu entwickeln und sie in die Entwicklung von (kommunalen) Gesamtkonzepten zur Digitalisierung einzubinden“. Dies ist insofern eine sehr ernst zu nehmende Forderung, da in der gesamten Smart City Charta der Begriff Kultur nicht ein einziges Mal genannt wird. Darüber hinaus wurden am 15. Juli 2021 in einer dritten Staffel achtundzwanzig weitere bundesdeutsche Kommunen ausgewählt, um „sektorenübergreifende digitale Strategien für das Stadtleben der Zukunft“ zu entwickeln und zu erproben. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist also laut Deutschem Kulturrat (und nicht nur dem) ein wichtiger Wirtschafts- und somit auch Standortfaktor, aber (noch) nicht Teil der smarten „Stadt der Zukunft“?
Das muss sich ändern, denn im Bereich Kultur stecken enorme Potenziale und Chancen für unsere in Zukunft digitalen und nachhaltigeren Städte!
Die Kultur einer Stadt
Die Kultur einer Stadt ist bisher an physische Orte gebunden. Diese Orte schaffen Bedeutung und Identifikation und haben somit auch eine soziale Funktion, denn sie sind immer auch Begegnungsorte der Menschen. Diese Kulturorte haben häufig einen direkten Bezug zur historischen, gewachsenen Stadt. Ihre Räume, ihre Architektur, ihre Beziehungen untereinander liegen wie ein Netz über dem geografischen Plan der Stadt. Es sind Orte zwischen Vergangenheit und Zukunft, die in der Gegenwart Wirklichkeit abbilden. Sie vermitteln zwischen den alltäglichen Dingen und den großen Ideen.
Wir bauen eine digitale Stadt
Die digitale Wirklichkeit kennt keine räumlichen und zeitlichen Barrieren, sowohl räumliche als zeitliche Distanzen werden ersetzt durch andere differenzierende Kriterien. Etwas, das hier ist, kann auch gleichzeitig dort sein – etwas einmaliges kann gleichzeitig in tausendfacher Kopie existieren. Das digitale Angebot von Stadtkultur ist also nicht mehr an die Räumlichkeit des Ortes Stadt gebunden – es benötigt neue strukturierende Kriterien, um äquivalente digitale Kulturorte zu schaffen, wo sich die Menschen auch virtuell begegnen können. Dieses digitale Kulturangebot sollte zur Daseinsvorsorge einer Stadt dazugehören und fester Bestandteil auch von Strategien zur Smart City sein. Eine Integration der Kultur in die digitale Stadtentwicklung, wie sie der Deutsche Städtetag vorschlägt, sollte zügig über die Bundes- und Landespolitik in die Kommunen getragen werden – und entsprechende Mittel verfügbar gemacht werden.
Transformation der Städte als kulturelle Aufgabe
Die smarte digitale Transformation der Städte vor allem auch als kulturelle Aufgabe zu verstehen, eröffnet neue Perspektiven und Ansatzpunkte. Auch in einem kollaborativen und partizipativen Ansatz, wie sie z. B. die 2020 ausgezeichnete Initiative „Digitaler Aufbruch Gütersloh“ beispielhaft vormacht.
Digitale Ausdrucksformen sind als Erhaltungs- und Weiterentwicklungsprozess der Kultur überhaupt zu verstehen, eine entsprechende Infrastruktur von unabhängigen, nicht an kommerzielle Verwertungsprozesse gebundenen digitalen Kulturorten muss ähnlich wie die Entwicklung der Kulturprogramme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten um 1960 die Kulturpolitik der nächsten Jahre prägen und die zukünftige Medienlandschaft ergänzen. Die Entwicklung einer bundesweiten vernetzten Kulturplattform, wie sie u. a. auch der Deutsche Städtetag fordert, oder wie sie im aktuellen Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesrepublik skizziert wird, ist unbedingt anzustreben.
Initiative Kultur Digital
Um lokale kulturelle Aktivitäten gut miteinander und mit der Außenwelt zu verbinden, hat die Krefelder Initiative Kultur Digital drei untereinander vernetzte Bausteine definiert. Wir nennen sie das KULTURPORTAL, die DIGITALE BÜHNE und das KULTURNETZWERK.